Dienstag, 16. August 2011

Panik beim Barbier

Den Friseurbesuch hatte ich schon einige Tage vor mir hergeschoben. Ich bin einfach nicht dazu gekommen und irgendwie ging die Frisur auch noch in Ordnung. Zum Schluss konnte ich meine Mähne aber nur noch mit viel Haargel in eine halbwegs hinnehmbare Form zwingen. Heute sollte damit Schluss sein.

Nun ist es garnicht so einfach einen guten und preiswerten Friseur zu finden, wenn man sich hier nicht auskennt. Der Friseursalon auf dem Campus verlangte $35 für einen Männerhaarschnitt, das war mir zu teuer. Zwei chinesische Friseure direkt um die Ecke warben damit, dass sie nur $12 berechnen würden, aber so richtig vertrauenswürdig sahen die Läden nicht aus.

Ein anderes Geschäft, an dem vorbeikam, war ein Barbier und Haarschneider.

Weil ich noch nie bei einem Barbier war und dort auch gerade nur einem Kunden die Haare geschnitten wurden, während Niemand auf den sehr bequem aussehenden Sesseln wartete, ging ich hinein und setzte mich.

Während ich dort saß, musste ich unwillkürlich an das Problem des schlafenden Barbiers aus dem Informatik-Grundstudium denken, als im gleichen Moment ein älterer und wie ich meine, tatsächlich etwas verschlafen wirkender, Herr aus dem Hinterzimmer getrottet kam. Ich schätze ihn auf 65, vielleicht ein bisschen älter und er sah aus, als müsste er selbst dringend mal die weißen Haare geschnitten bekommen. Vielleicht ist ja das Barbier-Paradoxon (ebenfalls Grundstudium) schuld daran.

Als ich den zerzausten Opa ansah, beschlich mich das Gefühl, ich sollte mir vielleicht doch eher bei den Chinesen die Haare schneiden lassen, aber ich war zu perplex um vernünftig zu handeln und folgte der knappen Anweisung des Barbiers, der "Komm." sagte und auf den freien Drehstuhl deutete. Als nächstes stellte der Mann mir die Frage nach meiner Wunschvorstellung für die neue Frisur: "Kurz?".

Menschliches Haar wächst im Schnitt 1,25 Zentimeter pro Monat und mein letzter Friseurbesuch war etwas mehr als sechs Wochen her. Also antwortete ich: "Ja, ungefähr um zwei Zentimeter kürzen, bitte.". Er guckte mich fragend an. Mit so einer Antwort hatte er entweder nicht gerechnet oder er fand es verwirrend, dass ich so viele Wörter in einem einzigen Satz verwendet hatte.

Er holte zwei Aufsätze für seine Haarschneidemaschine heraus, hielt sie mir hin und fragte: "Nummer Vier oder Nummer Sechs?". Damit war ich nun an der Reihe verwirrt zu sein. Auf die Frage, welcher Haarlänge Nummer Vier und Nummer Sechs entsprächen, bekam ich keine befriedigende Antwort. Schließlich schlug der Barbier vor, den Aufsatz Nummer Vier für die Seiten und Nummer Sechs für Oben zu verwenden. Ich hoffte, dass Nummer Vier die kürzere der beiden Längen war und dass er wüsste, was er da tat. Zum ersten Mal machte der das doch bestimmt nicht.

Oder vielleicht doch? Zumindest störte es ihn nicht, dass meine Haare voller Gel waren, als er die Maschine über meinen Kopf schob. Insgesamt erinnerte mich sein vorgehen verdächtig daran, wie meine Mutter mir als Kind die Haare geschnitten hatte. Ich hatte Angst in den Spiegel vor mir zu gucken und hoffte, dass er mir zumindest so viele Haare lassen würde, dass der chinesische Friseur zu dem ich direkt im Anschluss gehen wollte, noch etwas retten könnte.

Zuerst kürzte er mit der Maschine alle Haare, bis auf das vordere obere Drittel. Als ich schon dachte, er würde das so lassen und wäre fertig, besprühte er die Haare mit Wasser, kämmte sie zu einem Mittelscheitel und schnitt mit seiner Schere los, wobei er die Schere in einer hohen Frequenz scheinbar unkontrolliert öffnete und schloss und nur hin und wieder ein paar Haarspitzen erwischte. Ich bekam Angst um meine Ohren und dachte an Flucht.

Als er damit fertig war, entspannte ich mich wieder ein wenig.

Als nächstes föhnte der Barbier meine Haare nach hinten, nahm noch einmal die Maschine - diesmal ohne Aufsatz - und bemühte sich alles gleichmäßig zu begradigen. Ich hatte dabei die ganze Zeit dieses Bild vor Augen:


Zum Schluss nahm der gebrechliche Barbier eine Rasierklinge in die zitternde Hand. Das trieb meinen Puls noch einmal nach oben. Mit der Klinge entfernte er meine Nackenhärchen, die mir währenddessen zu Berge standen.

Und dann war es vorbei.

Ich atmete tief durch und guckte mir das Ergebnis im Spiegel an. Es war ein bisschen schief, ein paar Haare standen hier und da ab, aber trotzdem war ich irgendwie froh. Es hätte doch alles viel, viel schlimmer kommen können.

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